Liebe Weinfreundin, lieber Weinfreund,
viele von Ihnen kennen sicherlich jenes von Optimismus und Gottvertrauen zeugende Lied, das der berühmte Schauspieler und Entertainer Johannes Heesters noch bis vor wenigen Jahren bei jeder sich bietenden Gelegenheit ungefragt zum Vortrage brachte: „Ich möchte hundert Jahre werden! Das wär’ was, das wär’ was, das wär’ etwas für mich!“. Ob bei „Wetten dass?“ oder „Verstehen Sie Spaß?“, ob im Theater oder beim Hausarzt, überall trällerte der bereits greise Künstler jene Zeilen – sehr zum Leidwesen seiner 46 Jahre jüngeren Frau, die den frommen Wunsch ihres Gatten wohl nur dank der ihr eigenen Tapferkeit stets mit einem Lächeln statt mit einem Ohnmachtsanfall quittierte.
Der einzige Grund, warum der von den Deutschen liebevoll Jopi genannte Holländer dieses heitere, Gevatter Tod verhöhnende Couplet nun schon seit längerem nicht mehr anstimmt, ist, dass der Methusalem aus den Niederlanden mittlerweile bereits seinen 105.-ten Geburtstag gefeiert und somit selbst die eigenen, anfänglich als kühn zu erachtenden Erwartungen in Bezug auf sein Verfallsdatum weit überschritten hat. Zwar tanzt Heesters in seinem biblischen Alter nicht mehr im „Maxim“ – Sie wissen schon: „Ich küsse alle Damen, nenn’ Sie beim Kosenamen!“ – , auch hört und sieht er nicht mehr gut und in Phasen leichter geistiger Verwirrung huldigt er auch schon einmal einer dunklen Epoche der europäischen Geschichte, die alle vernunftbegabten Deutschen zu Recht nicht bagatellisiert sehen wollen, doch insgesamt erfreut sich Jopi bester Gesundheit und dürfte Simone Rethel damit über kurz oder lang in den Wahnsinn treiben.
Der greise Jahrhundertkünstler ist allerdings in Bezug auf sein Alter keinesfalls die berühmte Ausnahme, die die Regel bestätigt. Nein, die Menschen in Deutschland und anderen Industrieländern werden generell immer älter! Die Zeiten, in denen die Lebenserwartung bei 40 Jahren lag und insbesondere die Männer damit um die einzigartige Erfahrung brachte, ihre Midlife Crisis am Steuer eines Porsche 911 Carrera GT3 auszuleben, sind lange vorbei. Schon bald werden die Senioren in unserer überalternden Gesellschaft die Mehrheit der Bevölkerung stellen und damit die Systeme zur Altersversorgung vor unlösbare Probleme stellen. Nun gibt es viele Thesen darüber, warum die Menschen immer älter werden. Die einen glauben, der medizinische Fortschritt sei hierfür ursächlich, die anderen führen die im Gegensatz zu den Zuständen im Mittelalter deutlich verbesserte Hygiene ins Feld und wieder andere sind überzeugt, die Erfindung von Maschinen, die den Menschen von schwerer körperlicher Arbeit entlasten, habe diese Erhöhung der Lebenserwartung bewirkt.
Ich habe eine gänzlich andere Theorie: Ursächlich für das Phänomen, dass immer mehr Menschen das Heesters’sche Greisenalter erreichen, ist der bayerische Leberkäse! Nun werden Sie sagen: „Lieber Engelo, bayerischer Leberkäse, eine Kalorien- und Cholesterinbombe ohnegleichen, verkürzt doch eher das Leben als es zu verlängern! Schließlich weiß man um die verheerenden Folgen von Übergewicht und Bluthochdruck auf Herz und Hirn. Nicht umsonst zählen Infarkte und Schlaganfälle noch immer zu den häufigsten Todesursachen!“. Nichtsdestotrotz glaube ich, dass wer so argumentiert, zu kurz springt! Denn der regelmäßige Verzehr des bayerischen Leberkäses, der in den Supermärkten der Republik im Kühlregal auf Kundschaft wartet und auf der Verpackung als „ofenfrische Spitzenqualität“ angepriesen wird, konserviert den Endverbraucher von innen!
Ein Blick auf die Liste der Zutaten genügt, um zu erkennen, dass jenes Lebensmittel – wie die meisten Lebensmittel übrigens – so dermaßen mit den Segnungen unserer chemischen Industrie voll gestopft ist, dass selbst der Erzschurke Tricatell aus dem herrlichen Louis de Funes Film „Brust oder Keule“ neidvoll erblassen würde. Ich darf kurz aus der Liste der Inhaltsstoffe einer solchen Packung bayerischen Leberkäses zitieren, die kürzlich versehentlich den Weg in meinen Einkaufswagen fand und anschließend von mir auf einer Giftmülldeponie entsorgt werden musste: „80% Schweinefleisch, Trinkwasser, Speck“ – so weit so gut. Aber die Liste mit den Zutaten zum kulinarischen Grauen endet leider nicht an dieser Stelle.
Weiter geht es: „Jodiertes Nitratpökelsalz, Natriumnitrit, Triantriumcitrat, Diphosphat, Dextrose, Säuerungsmittel Citronensäure, Gewürzaroma, Maltodextin, modifizierte Stärke, Aroma, Palmfett, Hefeextrakt, Antioxisationsmittel, Ascorbinsäure und Natriumascorbat.“ Spätestens an dieser Stelle muss sich selbst der hart gesottenste Junk Food Freund grußlos übergeben. Was von der Nahrungsmittelindustrie dazu ersonnen wurde, den bayerischen Leberkäse und alle anderen, eigentlich nur kurz haltbaren Lebensmittel so zu konservieren, dass selbst die Archäologen der Zukunft bei der Ausgrabung eines Supermarktes unserer Epoche noch die „Segnungen“ der heutigen Zeit „genießen“ können, konserviert nicht nur das Produkt selbst, sondern auch den, der es verzehrt. Und so müssen wir uns nicht wundern, wenn derjenige, der eines Tages in die Fußstapfen Johannes Heesters tritt, dessen berühmtes Lied in leicht abgewandelter Form vortragen wird: „Ich möchte 150 Jahre werden! Das wär’ was, das wär’ was, das wär’ etwas für mich!“
Ich für meinen Teil kippe mir lieber täglich eine Flasche des guten, griechischen Rotweins hinter die Binde, den Markus Stolz auf seiner Webpage so eindringlich empfiehlt! Der verlängert mein Leben vielleicht nicht so sehr, dass mir Hessens Ministerpräsident zum 100.-sten Geburtstag die Hand schütteln kann, ist dafür aber ein Naturprodukt und kein Ausgeburt geschmacksverirrter Lebensmittelchemiker!
In diesem Sinne herzliche Grüsse von Ihrem „Elloinos-Kolumnisten“
Engelo